2. Februar 2009

Ich laufe durch die Straßen. Es muss wohl sehr kalt sein, denn mein Atem hinterlässt weiße, qualmartige Spuren in der Luft. Ich merke von all dem nichts, ich bin wie betäubt.
Es regnet. Das Wasser läuft mir mit dicken, großen und schweren Tropfen in den Nacken, doch ich fühle es nicht.
Auf meinen Weg achte ich nicht. Ich laufe dahin, wo mich meine Füße tragen, es sieht doch sowieso alles gleich aus. Die gleichen grauen Häuser, die gleichen grauen Straßen, mit den diesig wirkenden, schwach leuchtenden orangenen Straßenlaternen. Ab und zu mal ein beleuchtetes Fenster, sonst alles dunkel, wie immer grau.
Es ist kein Mensch auf der Straße, dass finde ich gut. Ich will allein sein, ich muss allein sein!
Zu viele Fragen haben sich mir mal wieder eröffnet, die in meinem Kopf immer präsent sind.
"Wer bin ich? Wo komme ich her, wo will ich hin? Was tue ich eigentlich?"
und die ganz entscheidende Frage:
"Bin ich glücklich?"
Diese Fragen quälen mich schon lange. Immer mal wieder, doch eigentlich finde ich das gut.
Nur so kann ich besser werden, erreichen, was ich möchte und was mich glücklich macht.
Doch diesmal ist es anders.
Noch nie stand ich so nahe vor dem Nichts. Noch nie hat mir das Leben so übel mitgespielt, noch nie habe ich so an mir gezweifelt und die Notwendigkeit meiner Existenz in Frage gestellt.
Meine Füße tragen mich weiter.
Auf einmal sehe ich, wo ich bin. Ich stehe vor der höchsten Brücke in unsere Gegend.
Wie durche eine andere Hand gelenkt, klettere ich die Brüstung hoch und stehe nun am höchsten Punkt.
Ich schaue runter und sehe das Wasser. Es ist nicht ruhig, so wie an sonnigen Frühlingstagen, sondern eher rau. Es wirkt wie eine riesige, eiskalte und graue Masse, die sich unter mir bewegt.
Den Regen kann man deutlich erkennen. Es sieht so aus, als würden die Regentropfen auf dem Wasser tanzen. Jeder einzelne verursacht nur eine kleine Bewegung, nur einen kleinen Schritt, nur ein trauriger Versuch, den Fluss in Wallungen zu bringen.
Doch zusammen, zusammen sind sie stark. Zusammen bewegen sie etwas und stellen einen wunderschönen Tanz zusammen.
Ich stehe auf der Brücke und schaue mir das Spektakel an. Ich beobachte weiterhin die Tropfen, wie sie aufs Wasser fallen und Eins werden mit der Masse.
Ein Tropfen kann nur mit Hilfe der anderen etwas bewegen, stark sein und etwas erreichen. Jeder ist anders und doch alle gleich.
Jeder ist für sich was Besonderes und doch ein Teil einer Gruppe, in der er wichtig ist.
Ich stehe auf der Brücke, der Regen läuft mir in den Nacken, ich fröstel.
Auf einmal merke ich die Kälte, die meinen Körper zittern lässt, meine Finger zum kribbeln bringt, die mich jedes meiner Körperteile spüren lässt.
Ich fühle mich lebendig.
Die Tropfen laufen mein Gesicht hinunter, ich spüre sie eindeutig, jeden einzelnen.
Ich fühle mich lebendig.
Es wird windig. Der Wind peitscht mir hart durchs Gesicht, ich verspüren einen leichten aber bestimmenden Schmerz. Er zerzaust mir die Haare und lässt meine Kleidung flattern.
Ich fühle mich lebendig.
Gegenüber der Brücke ist eine Mauer, auf die ein Grafitti gesprayt wurde. Es wundert mich, denn ich laufe jeden Tag über diese Brücke und habe es noch nie zuvor gesehen. Um es erkennen zu können, muss ich die Augen zusammen kneifen, denn die Beleuchtung ist auch hier eher miserabel. Schließlich kann ich es erkennen und lese es laut für mich vor.
"DAS LEBEN IST SCHÖN, auch wenn es nicht immer so scheint!"
"DAS LEBEN IST BUNT, auch wenn es manchmal regnet!",
steht da in großen, bunten und geschwungenen Lettern. Daneben hat jemand eine Sonne gemalt und ganz viele Punkte. Sie sind rot und grün, blau und gelb. violett und pink, beige und braun und noch ganz viele andere Farben.
Es sieht so aus, als würden die Punkte leuchten.
Ich lese die Schrift nochmal.
"DAS LEBEN IST SCHÖN[...], DAS LEBEN IST BUNT[...]"
Diese Worte schwirren mir immer wieder durch den Kopf, sie brennen sich in meinem Gedächtnis fest.
Wie in Trance steige ich von dem Pfeiler. Ehe ich mich versehe, stehe ich wieder hinter dem Geländer. Das Geschriebene leuchtet mir weiterhin entgegen.
"Heute nicht!", denke ich und fühle mich dabei richtig lebendig.
Ich wende mich zum gehen, ein letztes mal will ich mich umsehen. Ich blicke zurück, doch die Schrift ist verschwunden.
Ein Lächeln huscht mir über das Gesicht.

"HEUTE NICHT!"

7 Kommentare:

Jay Nightwind hat gesagt…

Sehr gut. Der Text macht nicht direkt Mut, aber man öffnet den Kopf für positive Gedanken. Gefällt mir.

Anonym hat gesagt…

wunderschön :)

Meise hat gesagt…

Wer mit einem Lächeln "Heute nicht" sagen kann, der wird es schaffen. Ganz bestimmt.

Anonym hat gesagt…

Das ist dir wirklich echt gut gelungen!Und wer hatte nicht schonmal so einen Gedanken!Aber mit deinem Text machst du den Leuten Mut zu sehen das dass Leben doch Lebenswert ist!RESPEKT

Anonym hat gesagt…

eine malerische und doch zugleich realistische geschichte, die sehr schön daran erinnert, dass das leben viele wege kennt uns mit den verschiedensten wahrheiten zu konfrontieren. viel wichtiger als "das leben ist schön" finde ich die aussagen: "das leben ist bunt".

Anonym hat gesagt…

Man kann die Situation beim lesen regelrecht spüren. Schöner Übergang von der Trostlosigkeit in die Hoffnung, an einer Stelle in der ich schon die Hoffnung auf ein "happy end" aufgegeben hatte.

Karen hat gesagt…

Ich glaube die Stimmung kennt jeder. Alles grau, alles trostlos, nichts hat Sinn.
Und ich glaube jeder hat irgendetwas, egal ob es ein Mensch, ein Gegenstand, eine Erinnerung oder eine Wahrnehmung ist, die ihm sagt, wie schön das Leben ist. Und wie lebenswert.

Wirklich schöner Text.